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[escepticos] Re: Re[2]: [escepticos] Re: [escepticos] Pío Moa/Urfascismo



----- Original Message -----
From: "jmbello" <jmbello en ctv.es>
To: "Kepler" <escepticos en ccdis.dis.ulpgc.es>
(...)
Subject: [escepticos] Re: [escepticos] Re: [escepticos] Re[2]: [escepticos]
Re[2]: [escepticos] Re: [escepticos] P ío Moa


> Hello Kepler,
>
> Saturday, February 22, 2003, 1:30:00 PM, you wrote:
>
> (...)
>
> (...)
>
> K> Preguntas sobre el tema
> K> ¿Que entiendes por "urfascista", JM?
>
> La palabra la tomé de Umberto Eco y fue ampliamente comentada en la
> corrala en diversas ocasiones. No tengo a mano la referencia, pero
> seguro que algún colistero sí.

Hola... Sí. Se comentó extensamente aquí. Es un neologismo de Umberto  Eco,
que lo construye con la palabra -más bien el prefijo- alemán 'ur' que suele
significar primigenio, originario, primitivo.

He estado haciendo una búsqueda en 'Google', y no he encontrado nada en
lenguas más conocidas. Sí, en cambio, un largo artículo de Eco en el
semanario 'Die Zeit' -sitio muy serio y conservador-. La pena es que es una
traducción del inglés, casi seguro que escrito en ese idioma por el propio
Eco, que los del 'Zeit' son gente muy fina, y si hubiese original italiano,
del italiano lo habrían traducido. En fin, para los que lean alemán., aquí
va: Empieza diciendo: '¿En qué se reconoce el pensamiento fascista? ¿Qué es
lo que lo diferencia del nacionalsocialismo o del fascismo? Un pequeño
vademécum antifascista, una guía para perplejos'...

 Lo siento, pero me resulta demasiado trabajoso traducirlo todo. Si hay
mucho interés en la lista, traduciría lo más interesante, que son los
'puntos de definición' del 1 al 15. El artículo, como todo lo que publica
'Die Zeit', es muy interesante, pero es que estos alemanes gustan de poner
siempre demasiadas letras...

Saludos

Javier Susaeta
"""""""""""""""""""""""""""""""""""""""""""""""

Umberto Eco: Urfaschismus (Aus: Die Zeit, Nr. 28/1995, S. 47.)
Woran erkennt man faschistisches Denken? Was unterscheidet den
Nationalsozialismus vom Faschismus? Ein kleines antifaschistisches
Vademecum, ein Führer für die Verwirrten



Wir müssen uns der Vergangenheit erinnern und entschieden bekunden, daß
"sie" keine Chance mehr bekommen dürfen. Aber wer sind "sie"? Wenn wir uns
der totalitären Regimes erinnern, die Europa vor dem Zweiten Weltkrieg
beherrschten, liegt es nahe zu sagen, sie könnten unter veränderten
historischen Bedingungen wohl kaum wieder in der gleichen Form auftreten.
Wenn Mussolinis Faschismus sich auf die Idee eines charismatischen Führers
gründete, auf den Korporativismus, auf die Utopie von Roms imperialer
Bestimmung, auf einen imperialistischen Willen zur Eroberung neuer Gebiete,
auf einen übersteigerten Nationalismus, auf das Ideal einer ganzen Nation in
Schwarzhemden, auf die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie, auf den
Antisemitismus - dann kann ich leicht einräumen, daß die italienische
Alleanza Nazionale, hervorgegangen aus der faschistischen Nachkriegspartei
MSI und mit Sicherheit eine Partei des rechten Flügels, derzeit nur sehr
wenig mit dem alten Faschismus zu tun hat. Und obwohl auch mich die
verschiedenen naziähnlichen Bewegungen hier und da in Europa einschließlich
Rußlands beunruhigen, werde ich ebensowenig glauben, daß der Nazismus in
seiner ursprünglichen Form als nationale Bewegung wieder auferstehen könne.
Dennoch: Politische Regimes können zwar gestürzt, Ideologien kritisiert und
abgelehnt werden - aber hinter einem Regime und seiner Ideologie steht immer
eine Art des Denkens und Fühlens, eine Anhäufung kultureller Gewohnheiten,
obskurer Instinkte und unauslotbarer Triebe.

Sprachgewohnheiten bieten häufig wichtige Hinweise auf zugrunde liegende
Gefühle. Deshalb lohnt die Frage, warum nicht nur die Resistenza, sondern
auch der Zweite Weltkrieg überall ganz allgemein als Kampf gegen den
Faschismus definiert wurde. Blickt man wieder einmal in Hemingwavs "Wem die
Stunde schlägt", so entdeckt man, daß Robert Jordan seine Feinde mit den
Faschisten identifiziert, selbst wenn er die spanischen Falangisten im Sinn
hat. Und Franklin Delano Roosevelt sieht im "Sieg des amerikanischen Volkes
und seiner Alliierten einen Sieg über den Faschismus und das Erbe des
Despotismus, den er vertritt". Während des Zweiten Weltkriegs galten die
Amerikaner, die im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft hatten, als "vorzeitige
Antifaschisten", soll heißen, daß in den vierziger Jahren der Kampf gegen
Hitler für jeden guten Amerikaner eine moralische Pflicht war, aber der
verfrühte Kampf gegen Franco in den Dreißigern hatte einen unguten
Beigeschmack, weil er in erster Linie von Kommunisten und anderen Linken
geführt wurde ... Warum benutzten amerikanische Radikale dreißig Jahre
später einen Ausdruck wie Faschistenschwein für Polizisten, die ihre
Rauchgewohnheiten mißbilligten? Warum sagten sie nicht: Cagoulardschwein,
Falangistenschwein, Ustaschaschwein, Quislingschwein, Nazischwein?

"Mein Kampf' ist ein Manifest mit einem umfassenden politischen Programm.
Der Nazismus besaß eine Theorie des Rassismus und der Überlegenheit der
Arier, eine klare Vorstellung von entarteter Kunst, eine Philosophie vom
Willen zur Macht und vom Übermenschen. Der Nazismus war entschieden
antichristlich und neuheidnisch, während Stalins Diamat (die offizielle
Version des sowjetischen Marxismus) offen materialistisch und atheistisch
war. Versteht man unter Totalitarismus ein Regime, das jeden Akt des
Individuums dem Staat und seiner Ideologie unterwirft, dann waren sowohl der
Nazismus wie der Stalinismus wirklich totalitäre Regimes.

Der italienische Faschismus war mit Sicherheit eine Diktatur, aber er war
nicht durchgehend totalitär - nicht weil er so milde gewesen wäre, sondern
eher aufgrund der philosophischen Schwäche seiner Ideologie. Im Gegensatz zu
einer weitverbreiteten Ansicht verfügte der Faschismus in Italien über keine
besondere Philosophie. Den mit Mussolini unterzeichneten Artikel
"Faschismus" in der Encyclopedia Treccani hatte Giovanni Gentile geschrieben
oder weitgehend inspiriert, und er verriet eine späthegelianische
Vorstellung vom absoluten und ethischen Staat, die Mussolini niemals
vollständig bewußt wurde. Mussolini besaß keinerlei Philosophie, sondern
lediglich Rhetorik.

Zu Anfang war er ein militanter Atheist, später unterzeichnete er die
Lateranverträge und ließ die faschistischen Banner von Bischöfen segnen. In
seinen frühen antiklerikalen Jahren soll er nach einer glaubwürdigen Legende
Gott aufgefordert haben, er solle ihn auf der Stelle niederstrecken, wenn er
seine Existenz beweisen wolle. Später berief sich Mussolini in seinen Reden
ständig auf Gott und störte sich nicht daran, wenn man ihn als den Mann der
Vorsehung bezeichnete. Der italienische Faschismus war die erste
rechtsgerichtete Diktatur in einem europäischen Land, und für alle späteren
derartigen Bewegungen bildete Mussolinis Regime eine Art Archetypus. Der
italienische Faschismus führte als erster eine militärische Liturgie ein,
eine Folklore, sogar eine Art, sich zu kleiden - mit ihren schwarzen Hemden
weit einflußreicher, als Armani, Benetton oder Versace jemals werden
sollten. Erst in den Dreißigern entstanden die faschistischen Bewegungen
überall, mit Mosley in Großbritannien, in Lettland, Estland, Litauen, Polen,
Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Griechenland, Jugoslawien, Spanien, Portugal,
Norwegen und sogar in Südamerika.

Dennoch scheint mir die historische Priorität kein ausreichender Grund für
die Erklärung, warum das Wort Faschismus zu einer Synekdoche wurde, zu einem
Wort, das sich für unterschiedliche totalitäre Bewegungen verwenden ließ.
Der Grund ist nicht etwa, daß der Faschismus in sich, sozusagen in seiner
Quintessenz, sämtliche Elemente aller späteren Formen des Totalitarismus
enthielt. Im Gegenteil: Der Faschismus verfügte über keinerlei Quintessenz.
Der Faschismus war ein verschwommener Totalitarismus, eine Collage aus
verschiedenen philosophischen und politischen Gedanken, ein Bienenkorb an
Widersprüchen. Kann man sich eine wirklich totalitäre Bewegung vorstellen,
die die Monarchie mit der Revolution hätte vereinen können, die Königliche
Armee mit Mussolinis persönlichen Milizen, Privilegien für die Kirche mit
einer staatlichen Erziehung, die Gewalt predigte, absolute staatliche
Kontrolle mit einem freien Markt?

Nehmen wir den Futurismus. Man könnte denken, er wäre als Beispiel
entarteter Kunst beurteilt worden, zusammen mit Expressionismus, Kubismus
und Surrealismus. Aber die frühen italienischen Futuristen waren
Nationalisten; aus ästhetischen Gründen befürworteten sie Italiens Eintritt
in den Ersten Weltkrieg; sie feierten Geschwindigkeit, Gewalt und Risiko,
und all das ließ sich anscheinend irgendwie mit dem faschistischen
Jugendkult vereinen. Während sich der Faschismus mit dem römischen Imperium
identifizierte und ländliche Traditionen ausgrub, wurde Marinetti (der
verkündete, ein Auto sei schöner als die Nike von Samothrake, und der sogar
dem Mondschein den Garaus machen wollte) zum Mitglied der Italienischen
Akademie ernannt, die dem Mondschein mit größter Hochachtung begegnete.

Das bedeutete nicht, daß der italienische Faschismus tolerant war. Gramsci
wurde bis zu seinem Tode eingekerkert; die Oppositionsführer Giacomo
Matteotti und die Brüder Rosselli wurden ermordet; der Pressefreiheit wurde
ein Ende gemacht, die Gewerkschaften wurden aufgelöst und politisch
Andersdenkende auf entlegene Inseln verbannt. Die Legislative verkam zu
einer bloßen Fiktion; die Exekutive (die die Rechtsprechung ebenso
kontrollierte wie die Massenmedien) erließ eigenständig neue Gesetze,
darunter die Gesetze zur Rassereinheit (die formale italienische
Unterstützungsgeste für das, was später der Holocaust wurde).

Es gab nur einen Nazismus. Das faschistische Spiel jedoch läßt sich nach
vielen Regeln spielen, und der Name des Spiels ändert sich dabei nicht. Die
Idee des Faschismus ist Wittgensteins Vorstellung von einem Spiel nicht
unähnlich. Ein Spiel kann ein Wettbewerb sein oder- auch nicht, es kann
einen oder mehrere Menschen interessieren, es kann besondere Fertigkeiten
voraussetzen oder gar keine, Geld kann im Spiel sein oder nicht. Spiele sind
unterschiedliche Tätigkeiten, die nur eine gewisse "Familienähnlichkeit"
aufweisen, wie es Wittgenstein ausdrückte.

Betrachten wir die folgende Reihe: 1 2 3 4 abc bcd cde def. Nehmen wir an,
in einer Reihe politischer Gruppen sei Gruppe eins gekennzeichnet durch die
Merkmale abc, Gruppe zwei durch die Merkmale bcd und so weiter. Gruppe zwei
ähnelt Gruppe eins, weil beiden zwei Merkmale gemeinsam sind; aus den
gleichen Gründen ähnelt Gruppe drei Gruppe zwei und Gruppe vier Gruppe drei.
Man beachte, daß Gruppe drei auch Gruppe eins ähnlich ist (sie haben c
gemein).

Den eigenartigsten Fall bildet Gruppe vier, die offensichtlich den Gruppen
drei und zwei ähnelt, mit Gruppe eins jedoch kein einziges Merkmal teilt.
Aber aufgrund der kontinuierlichen Reihung abnehmender Ähnlichkeiten
zwischen Gruppe eins und Gruppe vier bleibt durch eine Art illusorischer
Transitivität eine Familienähnlichkeit zwischen den Gruppen vier und eins
erhalten. Der Faschismus ließ sich als Bezeichnung für die
unterschiedlichsten Zwecke verwenden, weil ein faschistisches Regime auch
dann noch als faschistisch kenntlich bleibt, wenn man ihm ein oder mehrere
Merkmale nimmt.

Ziehen wir vom Faschismus den Imperialismus ab, so haben wir noch immer
Franco und Salazar. Nehmen wir den Kolonialismus fort, so bleibt uns noch
immer der Balkanfaschismus der Ustaschi. Fügen wir dem italienischen
Faschismus einen radikalen Antikapitalismus hinzu (der auf Mussolini nie
besonders reizvoll wirkte), dann haben wir Ezra Pound. Geben wir einen Kult
um keltische Mythologie und die Gralsmystik hinzu (dem offiziellen
Faschismus vollständig fremd), dann steht vor uns einer der angesehensten
faschistischen Gurus, Julius Evola. Aber trotz dieser Verschwommenheit halte
ich es für möglich, eine Liste von Merkmalen aufzustellen, die typisch wären
für das Gebilde, das ich als Urfaschismus oder ewigen Faschismus bezeichnen
möchte.

Diese Merkmale lassen sich nicht zu einem System organisieren; viele von
ihnen widersprechen einander und lassen sich außerdem auch anderen Formen
des Despotismus oder Fanatismus zuordnen. Aber jedes einzelne von ihnen kann
zum Kristallisationspunkt für den Faschismus werden.


1. Das erste Merkmal des Urfaschismus ist der Traditionskult.
Traditionalismus ist natürlich viel älter als der Faschismus. Er war nicht
nur typisch für das konterrevolutionäre katholische Denken nach der
Französischen Revolution, sondern entstand schon im hellenistischen
Synkretismus als Reaktion auf den griechischen Rationalismus der Klassik.
Synkretismus ist nicht nur, wie es im Wörterbuch heißt, "die Vermischung
verschiedener Religionen, Konfessionen oder philosophischer Lehren". Eine
jede der ursprünglichen Botschaften enthält einen Splitter der Weisheit, und
wenn sie auch unterschiedliche oder unvereinbare Dinge verkünden mögen, so
beziehen sie sich doch sämtlich auf die gleiche ursprüngliche Wahrheit. Es
kann daher keinen Fortschritt der Erkenntnis geben. Die Wahrheit ist ein für
allemal verlautbart, und uns bleibt nur, ihre unverständliche Bedeutung zu
interpretieren.

Die Nazi-Gnosis nährte sich aus traditionalistischen, synkretistischen,
okkulten Elementen. Der einflußreichste Urheber der Theorien der neuen
italienischen Rechten, Julius Evola, verschmolz den Heiligen Gral mit den
Protokollen der Weisen von Zion, Alchemie mit dem Heiligen Römischen Reich
Deutscher Nation. Daß die italienische Rechte vor kurzem ihren Kanon um
Werke von De Maistre, Guenon und Gramsci bereicherte, um ihre Offenheit zu
demonstrieren, ist ein Beleg des Synkretismus. Wenn man in amerikanischen
Buchhandlungen in den Regalen mit dem Etikett New Age herumstöbert, findet
man dort sogar den heiligen Augustin, der nach meiner Kenntnis kein Faschist
war. Aber der heilige Augustin in Verbindung mit Stonehenge - da springt uns
ein Symptom des Urfaschismus ins Auge.


2. Traditionalismus impliziert die Ablehnung der Moderne. Sowohl Faschisten
als auch Nazis verehrten die Technologie, während traditionalistische Denker
sie gewöhnlich als Negation traditioneller geistiger Werte ablehnen. Aber
obwohl der Nazismus auf seine industriellen Leistungen stolz war, lag sein
Modernismus nur an der Oberfläche einer Ideologie, die sich auf Blut und
Boden gründete. Die Ablehnung der modernen Welt tarnte sich als Ablehnung
kapitalistischer Lebensweise, aber in erster Linie ging es um die Ablehnung
des Geistes von 1789. Die Aufklärung, das Zeitalter der Vernunft, gilt als
Beginn moderner Entartung. In diesem Sinne läßt sich Urfaschismus als
Traditionalismus definieren.


3. Irrationalismus ist auch abhängig vom Kult der Aktion um der Aktion
willen. Eine in sich schöne Aktion muß vor dem Denken erfolgen oder ganz
ohne Denken. Denken ist eine Form der Kastration. Daher wird Kultur
verdächtig, sobald sie mit kritischen Einstellungen identifiziert wird.
Mißtrauen gegenüber der Welt des Intellekts war immer ein Symptom des
Urfaschismus.


4. Kein synkretistischer Glaube kann analytischer Kritik widerstehen. Der
kritische Geist macht Unterscheidungen. In der modernen Kultur lobt die
Wissenschaft mangelnde Übereinstimmung als nützlich für die Bereicherung des
Wissens. Für den Urfaschismus ist fehlende Übereinstimmung Verrat.


5. Zudem sind Meinungsverschiedenheiten ein Anzeichen der Vielfalt. Der
Urfaschismus wächst und sucht Unterstützung, indem er die natürliche Angst
vor Unterschieden ausbeutet und verschärft. Der erste Appell einer
faschistischen oder vorfaschistischen Bewegung richtet sich gegen
Eindringlinge. So ist der Urfaschismus qua Definition rassistisch.


6. Der Urfaschismus entstand aus individueller oder sozialer Frustration.
Deshalb gehörte zu den typischen Merkmalen des historischen Faschismus der
Appell an eine frustrierte Mittelklasse, eine Klasse, die unter einer
ökonomischen Krise oder der Empfindung politischer Demütigung litt und sich
vor dem Druck sozialer Gruppen von unten fürchtete. In unserer Zeit, da die
alten "Proletarier" zu Kleinbürgern werden (und die Lumpenproletarier von
der politischen Szene weitgehend ausgeschlossen sind), wird der Faschismus
von morgen sein Publikum in dieser neuen Mehrheit finden.


7. Den Menschen, die sich einer ausgeprägten sozialen Identität beraubt
fühlen, spricht der Urfaschismus als einziges Privileg das häufigste zu: im
selben Land geboren zu sein. Dies ist der Ursprung des Nationalismus.
Außerdem bezieht eine Nation ihre Identität nur aus ihren Feinden. Daher
liegt an der Wurzel der urfaschistischen Psychologie die Obsession einer
Verschwörung, am besten einer internationalen Verschwörung. Die Anhänger
müssen sich belagert fühlen. Am leichtesten läßt sich dieser Verschwörung
mit einem Appell an den Fremdenhaß begegnen.


8. Die Anhänger müssen sich vom offensichtlichen Reichtum und der Macht
ihrer Feinde gedemütigt fühlen. Als ich ein Junge war, lehrte man mich, an
die Engländer als das Volk mit den fünf Mahlzeiten zu denken. Sie aßen
häufiger als die armen, aber nüchternen Italiener. Juden sind reich und
helfen einander über ein geheimes Netz gegenseitiger Unterstützung. Aber die
Anhänger müssen auch überzeugt sein, daß sie ihre Feinde besiegen können.
Daher, durch ständige Verlagerung des rhetorischen Brennpunkts, sind die
Feinde gleichzeitig zu stark und zu schwach. Faschistische Regierungen sind
dazu verurteilt, Kriege zu verlieren, weil sie konstitutiv unfähig sind, die
Stärke des Feindes richtig einzuschätzen.


9. Im Urfaschismus gibt es keinen Kampf ums Überleben - das Leben ist nur um
des Kampfes willen da. Pazifismus ist daher Kollaboration mit dem Feind. Er
ist schlecht, weil das Leben ein ständiger Kampf ist. Das jedoch führt zu
einem Armageddon-Komplex. Da die Feinde besiegt werden müssen, ist auch eine
Entscheidungsschlacht erforderlich, und danach wird die Bewegung die
Weltherrschaft antreten. Aber eine solche "Endlösung" impliziert auch wieder
eine Friedensära, ein neues Goldenes Zeitalter, was dem Prinzip des
ständigen Krieges widerspricht. Keinem faschistischen Führer ist jemals die
Lösung dieses Problems gelungen.


10. Elitedenken ist ein typischer Aspekt jeder reaktionären Ideologie,
insoweit sie im Grunde aristokratisch ist, und aristokratisches und
militaristisches Elitedenken hat eine grausame Verachtung des Schwächeren im
Gefolge. Der Urfaschismus kann nur ein allgemeines Eliteempfinden vertreten.
Jeder Bürger gehört dem besten Volke der Welt an, die besten Bürger sind die
Mitglieder der Partei, jeder Bürger kann (oder sollte) der Partei beitreten.
Aber ohne Plebejer keine Patrizier. Der Führer weiß, daß seine Macht ihm
nicht demokratisch übertragen, sondern gewaltsam erobert wurde, und ihm ist
ebenso klar, daß seine Kraft in der Schwäche der Massen wurzelt; sie sind so
schwach, daß sie einen Führer brauchen und verdienen. Da die Gruppe
hierarchisch organisiert ist (dem militärischen Modell nachempfunden),
verachtet jeder Unterführer seine Untergebenen, und jeder von diesen
verachtet die ihm Untergebenen. Das verstärkt das massenhafte
Elitebewußtsein.


11. In einer, solchen Perspektive werden alle zum Heldentum erzogen. In
jeder Mythologie ist der Held ein außergewöhnliches Wesen, aber in der
urfaschistischen Ideologie ist Heldentum die Norm. Dieser Kult des
Heldentums hängt aufs engste mit dem Todeskult zusammen. Es war kein Zufall,
daß ein Motto der Falangisten lautete: " Viva la Muerte". In
nichtfaschistischen GeseIlschaften gilt der Tod als eine unangenehme
Erscheinung, der man mit Würde begegnen soll; dem Gläubigen ist er der
schmerzhafte Weg zu jenseitigem Glück. Im Gegensatz dazu sucht der
urfaschistische Held den heroischen Tod als beste Belohnung für ein
heldisches Leben. Der urfaschistische Held erwartet den Tod mit Ungeduld. In
seiner Ungeduld schickt er allerdings gern andere in den Tod.


12. Da sowohl endloser Krieg als auch Heroismus recht schwierige Spiele
sind, überträgt der Urfaschist seinen Willen zur Macht auf die Sexualität.
Hier liegt der Ursprung des machismo (zu dem Frauenverachtung ebenso gehört
wie gewalttätige Intoleranz gegenüber ungewöhnlichen Sexualgewohnheiten, von
der Keuschheit bis zur Homosexualität). Da auch die Sexualität ein
schwieriges Spiel ist, neigt der Urfaschist zum Spiel mit Waffen - das wird
zu einer phallischen Ersatzübung.


13. Der Urfaschismus gründet sich auf einen selektiven Populismus, einen
sozusagen qualitativen Populismus. In einer Demokratie haben die Bürger
individuelle Rechte, aber in ihrer Gesamtheit besitzen sie politischen
Einfluß nur unter einem quantitativen Gesichtspunkt - man folgt den
Entscheidungen der Mehrheit. Für den Urfaschismus jedoch haben Individuen
als Individuen keinerlei Rechte, das Volk dagegen wird als eine Qualität
begriffen, als monolithische Einheit, die den Willen aller zum Ausdruck
bringt. Da eine große Menschenmenge keinen gemeinsamen Willen besitzen kann,
präsentiert sich der Führer als Deuter. Da sie ihre Delegationsmacht
verloren haben, handeln die Bürger nicht mehr; sie werden lediglich
zusammengerufen, um die Rolle des Volkes zu spielen. Daher ist das Volk
nichts als eine theatralische Fiktion. Für ein gutes Beispiel des
qualitativen Populismus bedürfen wir nicht länger der Piazza Venezia in Rom
oder des Nürnberger Parteitagsgeländes. In der Zukunft erwartet uns ein TV-
oder Internet-Populismus, in dem die emotionale Reaktion einer ausgewählten
Gruppe von Bürgern als Stimme des Volkes dargestellt und akzeptiert werden
kann. Aufgrund seines qualitativen Populismus muß der Urfaschismus gegen
"verrottete" parlamentarische Regierungen eingestellt sein. Wo immer ein
Politiker die Legitimität eines Parlaments in Zweifel zieht, weil es den
Willen des Volkes nicht mehr zum Ausdruck bringe, riecht es nach
Urfaschismus.


14. Der Urfaschismus spricht Newspeak. Orwell erfand in "1984" Newspeak als
offizielle Sprache von Ingsoc, dem englischen Sozialismus. Aber Elemente des
Urfaschismus sind verschiedenen Formen der Diktatur gemeinsam. Alle Nazi-
oder faschistischen Schulbücher bedienten sich eines verarmten Vokabulars
und einer elementaren Syntax, um die Instrumente komplexen und kritischen
Denkens im Keim zu ersticken. Aber wir müssen uns auch auf andere Formen,
von Newspeak einstellen, selbst wenn sie in der scheinbar unschuldigen Form
einer populären Talk-Show daherkommen.

Am Morgen des 27. Juli 1943 erfuhr ich aus dem Radio, der Faschismus sei
zusammengebrochen und Mussolini verhaftet. Als meine Mutter mich zum
Zeitungholen schickte, entdeckte ich, daß die Zeitungen am nächsten Kiosk
verschiedene Titel hatten. Mehr noch: Nachdem ich die Überschriften gelesen
hatte, wurde mir klar, daß in jeder Zeitung etwas anderes stand. Ich
entschied mich blind für eine und las auf der ersten Seite eine Erklärung,
die von fünf oder sechs politischen Parteien unterzeichnet war - darunter
die Democrazia Cristiana, die Kommunistische Partei, die Sozialistische
Partei, der Partito d'Azione und die Liberale Partei. Bis zu diesem
Zeitpunkt hatte ich geglaubt, es gebe in jedem Land nur eine einzige Partei,
und in Italien sei das der Partito Nazionale Fascista. Nun entdeckte ich,
daß in meinem Lande mehrere Parteien nebeneinander existieren konnten. Da
ich ein kluger Junge war, erkannte ich sofort, daß so viele Parteien nicht
über Nacht aus dem Boden geschossen sein konnten, daß sie also schon seit
einiger Zeit im Untergrund existiert haben mußten. Die Erklärung auf der
Titelseite feierte das Ende der Diktatur und die Rückkehr der Freiheit:
Freiheit der Rede, der Presse, der politischen Vereinigung. Diese Worte,
"Freiheit", "Diktatur", "Rechte" - jetzt las ich sie zum ersten Mal in
meinem Leben. Kraft dieser neuen Worte wurde ich neu geboren, als ein freier
Mann des Westens. Wir müssen wachsam bleiben, damit der Sinn dieser Worte
nicht wieder in Vergessenheit gerät. Der Urfaschismus ist immer noch um uns,
manchmal sehr unscheinbar gewandet. Es wäre für uns so viel leichter, träte
jemand vor und verkündete: "Ich will ein zweites Auschwitz, ich will, daß
die Schwarzhemden wieder über Italiens Plätze paradieren." Das Leben ist
nicht so einfach. Der Urfaschismus kann in der unschuldigsten Verkleidung
wieder auftreten. Wir haben die Pflicht, ihn zu entlarven und jedes seiner
neueren Beispiele kenntlich zu machen - an jedem Tag, an jedem Ort der Welt.
Franklin Roosevelts Worte vom 4. November 1938 verdienen, nicht vergessen zu
werden: "Ich wage zu behaupten, daß der Faschismus in unserem Lande an Kraft
gewinnen wird, wenn die amerikanische Demokratie nicht als lebendige Kraft
voranschreitet, um Tag und Nacht mit friedlichen Mitteln das Schicksal
unserer Mitbürger zu verbessern." Freiheit und Befreiung sind eine niemals
endende Aufgabe.


Aus dem Englischen von Meinhard Büning

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